Indische Summen

Eins und eins zusammenzählen kann jeder. Zu eins wird noch eins hinzugefügt bzw. addiert (lateinisch addere). Dann wird gezählt und man erhält als Ergebnis die Summe zwei: 1 + 1 = 2. Wird zu eins zwei hinzugefügt, hat man als Ergebnis drei: 1+2=3. Wird zu eins und zwei drei hinzugefügt, gibt es sechs, usw. Was ist das Ergebnis der Addition aller natürlichen Zahlen? Ganz einfach: das Ergebnis ist minus ein Zwölftel,

    \[1+2+3+4+5+6+ \dots = -\frac{1}{12}!\]

Diese Erkenntnis verdanken wir dem indischen Mathemathiker Srivivasa Ramanujan [1]. Die Reihen

    \[ c= 1+2+3+4+5+6+ \dots\ \quad \mbox{und} \quad d=1-2+3-4+5-6+ \dots\]

sind sich sehr ähnlich. Multipliziert man die Reihe c mit 4 und subtrahiert dann dieses Vierfache von der Reihe c, d.h. c - 4c, erhält man die Reihe d

    \[ d = c - 4\ c = 1+2+3+4+5+6+ \dots - (4 + 8 + 12 + 16 + 20 + 24 + \dots) = 1-2+3-4+5-6+ \dots \]

Die Reihe

    \[ d = 1-2+3-4+5-6+\dots = \sum_{n=1}^\infty n\ (-1)^{n-1} \]

wiederum ist der Grenzwert der Reihe

    \[ \lim_{x \rightarrow 1}\sum_{n=1}^\infty n (-x)^{n-1} = \lim_{x \rightarrow 1}\frac{1}{(1+x)^2} = \frac{1}{4} \]

Somit gilt c-4\ c = -3\ c = d = \frac{1}{4} und folglich

    \[ c = -\frac{1}{12}. \]

Die Unendlichkeit trifft von hinten …..

Ebenso erstaunliche Ergebnisse wie die obige, divergente Reihe liefern die links unendlichen Zahlen. Reele Zahlen können unendlich viele Stellen hinter dem Komma aufweisen. Die dekadischen Zahlen haben unendlich viele Stellen vor dem Komma [2]. Für die dekadische Zahl e = \dots 999999 gilt:

    \[\dots 999999 + 1 = \dots 00000000\ = e + 1 = 0\]

Daraus folgt e = \dots 9999999 = (-1) bzw. \frac{1}{9}\ e = \dots 1111111 = -\frac{1}{9}. Die dekadische Zahl (\dots 111111) läßt sich als geometrische Reihe schreiben,

    \[\dots 111111 = \sum_{i=0}^\infty 10^i = \frac{1}{1-10} = -\frac{1}{9}.\]

Dieses Ergebnis hat durch den kanadischen Mathematiker Ilan Vardi eine besondere Anschauung erhalten. Ein Schütze wirft einen Pfleil. Der Pfeil fliegt zunächst sehr langsam, nur 1 Meter in 1 Sekunde. Aber dann beschleunigt er von Zauberhand: in der nächsten halben Sekunde fliegt er schon 10 Meter, in der darauffolgenden viertel Sekunde 100 Meter, usw. Voller Erstaunen macht er einen Schritt von \frac{1}{9} Meter zurück und wird nach 2 Sekunden von seinem eigenen Pfleil durchbohrt.

Der Schütze, der seinen Pfeil in die Unendlichkeit geworfen hat, wird von hinten selbst getroffen ….


Quellen:
[1] Srinivasa Ramanujan, Notebook 1, Chapter 8, 1919
[2] Spektrum der Wissenschaft, Highlights 2/10, Seite 25 ff.